Zwischen Faszination und Skepsis
„Ich würde mir vor Angst in die Hose machen!“ oder „Sieht man da denn überhaupt etwas?“ – das sind typische Reaktionen, wenn ich vom Nachttauchen erzähle. Die Vorstellung, sich bei völliger Dunkelheit ins Wasser zu begeben, wirkt auf viele Menschen befremdlich oder sogar beängstigend. Und ja – Respekt ist durchaus angebracht. Aber Angst? Die brauchst du nicht zu haben.
Was das Sehen betrifft, frage ich gern zurück: Können wir bei Nacht nicht auch an Land sehen, wenn wir eine Taschenlampe benutzen? Genau das Gleiche machen wir beim Nachttauchen – nur unter Wasser und mit wasserdichten Lampen. In vielen Fällen sieht man im Lichtkegel der Lampe sogar mehr Details als am Tag.
Doch warum sollte man überhaupt nachts tauchen? Die Antwort ist einfach: Weil es atemberaubend ist.
Warum nachts tauchen? Drei gute Gründe
Der offensichtlichste Grund: Die Unterwasserwelt verwandelt sich. Nachtaktive Tiere wie Garnelen, Oktopusse, Langusten oder Kalmare verlassen ihre Verstecke, schlafende Papageifische liegen still zwischen den Korallen, und manche Pflanzen ziehen sich zurück oder beginnen sogar zu blühen. Selbst bekannte Tauchplätze wirken nachts wie ein neues Universum. Manchmal gleiten kleine Tintenfische durchs Wasser, jagend oder schwebend, fast wie Außerirdische.
Der zweite Grund ist die eigene Stimmung. Nach einem langen Tag, wenn der Körper sich langsam auf die Ruhe einstellt, taucht man mit einer anderen Gelassenheit ab. Die Dunkelheit, die Stille, das reduzierte Blickfeld – all das führt zu einer besonderen Achtsamkeit. Deine Aufmerksamkeit konzentriert sich auf den Lichtkegel, du nimmst jedes Detail intensiver wahr. Es wirkt fast meditativ – eine ruhige, fokussierte Art des Tauchens.
Der dritte Vorteil: Nachttauchen ist selten überlaufen. Die typischen „Neoprenfische“ (so nenne ich liebevoll die lauten Gruppen, die tagsüber durchs Riff pflügen) fehlen meistens. Die wenigen Taucher, die sich nachts ins Wasser wagen, sind ruhiger, konzentrierter – und so stört dich nichts bei der Beobachtung oder beim Fotografieren. Du bist ganz bei dir – und im Moment.
Bist du bereit für deinen ersten Nachttauchgang?
Grundsätzlich gilt: Wer ein offenes Wasser-Brevet (z. B. PADI OWD oder CMAS*) besitzt, darf auch nachts tauchen. Doch du solltest dich dabei sicher fühlen – und das bedeutet: Erfahrung ist hilfreich. Wenn du noch Schwierigkeiten mit Tarierung, Maske oder Atmung hast, sammle lieber noch ein paar Tauchgänge bei Tageslicht.
Viele Tauchbasen verlangen 10–15 geloggte Tauchgänge, bevor du an einem Nachttauchgang teilnehmen darfst. Noch besser: Mach einen Nachttauch-Spezialkurs. Dort lernst du nicht nur die Technik, sondern auch die Verhaltensregeln und Sicherheitshinweise. In der Gruppe mit erfahrenem Guide fällt der Einstieg leichter – und macht obendrein Spaß.
Vorbereitung: Planung ist alles
Ein guter Nachttauchgang beginnt nicht beim Abtauchen, sondern viele Stunden früher. Am besten tauchst du an einem Ort, den du bereits kennst. Tauchgänge bei Dunkelheit sollten niemals an unbekannten Spots stattfinden – denn Orientierung ist nachts deutlich schwieriger.
Besprich gemeinsam mit deinem Buddy, wie der Tauchgang ablaufen soll. Welche Route nehmt ihr? Welche Tiefe ist geplant? Wie lange wollt ihr tauchen? Wie viele Reserven habt ihr – beim Luftverbrauch und bei der Lampen-Brenndauer? Vereinbart klare Lichtsignale und besprecht die Notfallprozeduren. Auch der Einstieg und Ausstieg muss vorher geklärt sein – ein steiler, rutschiger Zugang kann nachts schnell gefährlich werden.
Noch wichtiger als am Tag: der Buddycheck. Prüft, ob alle Ausrüstungsgegenstände funktionieren, ob die Lampen geladen sind, ob alle Backup-Systeme verfügbar sind. Denn im Dunkeln sind Fehler schwerer zu erkennen – und schwerer zu korrigieren.
Die richtige Ausrüstung: Licht, Sicherheit und Vertrauen
Die wichtigste Zusatzkomponente beim Nachttauchen ist die Beleuchtung. Deine Hauptlampe muss leistungsfähig sein, idealerweise mindestens 1000 Lumen stark. Entscheidend ist nicht nur die Helligkeit, sondern auch die Brenndauer – sie bestimmt im Zweifel, wie lange der Tauchgang dauern kann. Achte darauf, dass die Akkus voll geladen oder die Batterien frisch sind.
Zweite Pflicht: die Backup-Lampe. Jeder Taucher – nicht nur jede Gruppe – sollte eine eigene Ersatzlampe dabeihaben. Die Backup-Lampe sollte im Jacket oder an der Maske befestigt sein und sich im Notfall schnell aktivieren lassen.
Neben der Beleuchtung solltest du deine Instrumente auch im Dunkeln ablesen können. Nachleuchtende Skalen auf Finimeter und Tiefenmesser helfen, alternativ kannst du mit der Lampe gezielt ausleuchten. Dein Tauchcomputer sollte über eine Beleuchtungsfunktion verfügen – oder zumindest gut ablesbar sein.
Wichtig ist, dass du dich mit deiner Ausrüstung bestens auskennst. Der Nachttauchgang ist kein Moment für Experimente mit neuen Jackets oder ungewohnten Masken. Du solltest im Schlaf wissen, wo sich jedes Teil befindet. In einer Stresssituation im Dunkeln möchtest du nicht erst nachdenken müssen, wo der Ablass sitzt.
Auch ein Marker-Licht an deiner Pressluftflasche – ein kleines Knicklicht oder eine blinkende LED – ist ratsam. So bleibst du für deinen Buddy sichtbar.
Sicherheit und Verhaltensregeln – bei Nacht noch wichtiger
Ein Nachttauchgang verzeiht keine Nachlässigkeiten. Deshalb hier die wichtigsten Verhaltensregeln:
Plane nur an bekannten, ruhigen Tauchplätzen. Idealerweise hast du den Ort bereits bei Tageslicht betaucht. Nachttauchgänge sollten nur bei besten Bedingungen stattfinden – keine Strömung, keine Wellen, maximale Tiefe begrenzt, keine Deko-Tauchgänge.
Die Rettungskette muss auch nachts funktionieren. Entweder ist eine Basis vor Ort oder ein Landteam hält Sichtkontakt. Einfache und sichere Ein- und Ausstiegsstellen sind Pflicht – niemand möchte nachts im Brandungsbereich auf Felsen klettern.
Die Gruppengröße sollte klein sein. Zwei bis vier Taucher pro Guide sind ideal. Jedes Buddyteam braucht eine Backup-Lampe. Unerfahrene Nachttaucher sollten mit erfahrenen Buddies tauchen.
Legt vor dem Tauchgang maximale Tiefe, Dauer und Route fest. Kalkuliert dabei auch den erhöhten Luftverbrauch – Stress, Kälte oder die ungewohnte Umgebung führen oft zu schnellerer Atmung. Und: Denkt an die Brenndauer eurer Lampen.
Geht die Lichtsignale durch. Ein ruhiger Kreis mit der Lampe heißt „OK“, ein vertikales Schwenken „Problem“. Handsignale funktionieren, wenn sie mit Licht angestrahlt werden. Einigen euch auf klare, einfache Zeichen.
Durchführung: Der Tauchgang selbst
Tauche gemeinsam mit deinem Buddy ab, in kontrolliertem Tempo. Haltet die Lampen nach unten gerichtet – blendet weder euch noch andere Taucher. Ein klarer Orientierungspunkt (Riffkante, Sandfläche) hilft beim Navigieren. Wer mag, kann ein Reel mitführen, um bei schlechter Sicht sicher zum Einstieg zurückzufinden.
Bewegt euch langsam und ruhig. Vermeidet hektische Flossenbewegungen – aufgewirbeltes Sediment kann die Sicht komplett ruinieren. Haltet Abstand zum Grund, zu Korallen, Pflanzen und Tieren. Alles wirkt in der Nacht empfindlicher – und ist es auch.
Sucht gezielt nach Leben. Oft genügt es, einige Sekunden über dem Riff zu schweben. Langusten kommen aus Felsspalten, Kalmare gleiten vorbei, Garnelen sitzen auf Seeigeln, schlafende Fische lassen sich fotografieren – solange du sie nicht blendest. Blende ohnehin niemals Tiere unnötig. Viele sind lichtempfindlich, erschrecken oder verändern ihr Verhalten unter Dauerbeleuchtung. Zeige Respekt – du bist Gast.
Tauche niemals allein. Wenn du deinen Buddy aus dem Blick verlierst, bleibe ruhig. Drehe dich im Kreis, suche nach seinem Licht. Kehrt zur geplanten Route zurück oder brecht den Tauchgang ab – lieber zu früh als zu spät.
Markiere bei Bedarf Ein- und Ausstiegsstellen mit Licht – blinkende Bojen oder Blitzlichter helfen beim Wiederfinden. An der Oberfläche solltest du deine Lampe abschalten – sie könnte über Wasser Schaden nehmen, und wildes Umherleuchten kann als Notsignal interpretiert werden.
Nach dem Tauchgang: Nachbereitung und Reflektion
Ist der Tauchgang beendet, beginnt der zweite wichtige Teil: das Debriefing. Sprecht darüber, was gut lief – und was nicht. Gab es Missverständnisse bei der Kommunikation? Hat die Ausrüstung funktioniert? Wie war die Orientierung?
Die Ausrüstung solltest du sorgfältig reinigen – besonders die Lampen. Spüle sie mit Süßwasser, öffne sie und lasse sie trocknen. Lade die Akkus für den nächsten Einsatz. Prüfe Dichtungen, Knöpfe und Halterungen. Auch deine restliche Ausrüstung – Neopren, Tarierweste, Maske – verdient Pflege.
Und dann: Logge deinen Tauchgang. Halte fest, was du gesehen hast, wie du dich gefühlt hast, welche Tiere dir begegnet sind. Jeder Nachttauchgang ist einzigartig – und es lohnt sich, Erinnerungen festzuhalten.
Häufige Fehler – und wie du sie vermeidest
Viele Probleme beim Nachttauchen lassen sich vermeiden. Hier die häufigsten Fehler – und wie du ihnen vorbeugst:
Nur eine Lampe mitnehmen? Ein No-Go. Backup ist Pflicht.
Unbekannter Tauchplatz? Lass es. Nur an vertrauten Orten tauchen.
Zu große Gruppe? Bleib bei kleinen Teams.
Keine Vorbesprechung? Plant genau. Tiefe, Route, Zeichen.
Neue Ausrüstung? Nicht bei Nacht. Nur Bewährtes verwenden.
Zu spät am Abend? Müdigkeit erhöht das Risiko.
Schlechte Tarierung? Üben – oder lieber noch bei Tageslicht bleiben.
Fazit: Dein Einstieg ins nächtliche Abenteuer
Nachttauchen ist nicht einfach „Tauchen mit Taschenlampe“. Es ist eine tiefere, ruhigere, intensivere Erfahrung. Eine Welt voller leuchtender Augen, geheimnisvoller Schatten und Begegnungen, die du am Tag nie machen würdest.
Mit guter Planung, verlässlicher Ausrüstung und einem vertrauten Buddy wird dein erster Nachttauchgang zu einem Erlebnis, das du nie vergisst. Er wird dich verändern – vielleicht nicht als Mensch, aber ganz sicher als Taucher.
Denn wer einmal mit ruhigem Herzschlag im Lichtkegel durchs nächtliche Wasser gleitet, wer sieht, wie ein Tintenfisch die Farbe wechselt oder ein schlafender Papageifisch in seiner Schleimhülle träumt, der weiß: Die wahre Magie des Meeres beginnt nach Sonnenuntergang.
Impressionen
Hier einige Impressionen von Nachttauchgängen in heimischen Seen und auf Bali:
















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